Kognitive Entwicklung
Kognitive und soziale Entwicklung
«Unter kognitiver Entwicklung versteht man die Entwicklung all jener Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Gegenstände und Personen der Umgebung und der eigenen Person gelten. Zu diesen Funktionen gehören Intelligenz bzw. Denken, Wahrnehmung, Problemlösen, Gedächtnis, Sprache etc. (Stangl, 2021).»
Kognitive und soziale Entwicklung
Das Neuropsychiatrische Zentrum Vincent van Gogh in Venray bietet schon seit vielen Jahren Sprechstunden für Kinder mit Noonan-Syndrom an und hat unter anderem auch wissenschaftliche Untersuchungen zur «sozialen Kognition» bei Kindern mit Noonan-Syndrom gemacht.
Eine ihrer Erkenntnisse ist, dass Menschen mit Noonan-Syndrom mehr soziale kognitive Probleme haben als Menschen ohne das Syndrom. Insbesondere schienen viele Menschen Schwierigkeiten zu haben, ihre Gefühle auszudrücken (mit anderen Worten: Alexithymie).
Mittlerweile gibt es wirksame Methoden zur Behandlung sozialer kognitiver Probleme, welche vor allem für Menschen mit Autismus, Schizophrenie oder Hirnverletzungen angewendet werden. Einige dieser Therapien konzentrieren sich nur auf die Verbesserung einer bestimmten Fähigkeit (z. B. Emotionserkennung), andere hingegen auf mehrere Gebiete gleichzeitig. Therapien speziell nur für die sozial-emotionalen Probleme bei Meschen mit Noonan-Syndrom gab es bislang aber nicht.
Die Neuropädiatrie des Spitals Vincent van Gogh hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem Noonan-Syndrom Verein Holland und der Radboud-Universität Nijmegen einen speziellen Schulungskurs für Menschen mit Noonan-Syndrom entwickelt, welcher sich an Erwachsene (16+) mit sozial-emotionalen Schwierigkeiten richtet. Für weitere Informationen dazu wenden Sie sich bitte an:
Dr. Renée Roelofs, Psychologin
Vincent van Gogh Instituut
Topklinisch Centrum voor Neuropsychiatrie Stationsweg 46
5803 AC, Venray
Vortrag „Kognitive Entwicklung beim Noonan-Syndrom“, 16.11.21
Der Vortrag fand in Zusammenarbeit mit dem PEZZ und dem Verein Noonan-Syndrom Schweiz statt. Die Referenten Prof. Dr. Kees Noordam und die zwei holländischen Psychologinnen Dr. Ellen Wingbermühle und Dr. Renée Roelofs berichteten über ihre jahrelangen Erfahrungen zu Patienten mit NS, ihren Forschungsresultaten und stellten sich danach den Fragen der anwesenden Eltern.
Das Protokoll des Abends finden sie hier (PDF).
Studie
Eine Studie von Elizabeth I. Pierpont aus dem Jahr 2015, welche unter anderem auch die kognitive Entwicklung bei Menschen mit Noonan-Syndrom untersuchte, kam zu folgenden Schlussfolgerungen:
- Entwicklungsverzögerungen bei NS im Säuglings- und Kleinkindalter sind sehr häufig, insbesondere in Bezug auf die grobmotorische Entwicklung und die expressive Sprache.
- Neuropsychologische Untersuchungen sind zu folgenden Zeitpunkten zu empfehlen:
- Im Säuglingsalter oder in der frühen Kindheit
Es sollte geschaut werden, welche unterstützenden Therapien (z.B. Früherziehung, Physiotherapie, Logopädie, etc.) für das Kind nötig sind.
- Während der mittleren Kindheit
Hier kann eine neuropsychologische Beurteilung bei der Wahl des geeigneten Kindergartenmodells helfen. Zudem gibt die Untersuchung auch Aufschluss über Hilfsmittel für den Unterricht oder wie die Lernumgebung für das Kind optimal eingerichtet werden kann.
- Im Jugend- oder Erwachsenenalter
Die Beurteilungen können sich auf verschiedene Ziele konzentrieren, z. B. schulische Leistungen auf der Sekundarstufe I und II, Übergangs- oder Beschäftigungsbedürfnisse sowie soziale oder psychologische Unterstützung.
Wichtig bei der Auswahl von geeigneten kognitiver Testverfahren ist, auch Messgrössen auszuwählen, die nicht von den motorischen Fähigkeiten abhängig sind. Zudem sollten auch Seh- und/oder Höreinschränkungen in den Tests berücksichtigt werden.
- Eine wichtige Erkenntnis aus der empirischen Forschung ist, dass Kinder mit NS unabhängig von ihrer Genmutation, ein erhöhtes Risiko für Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeitsregulation und eine verminderte kognitive Organisation/Flexibilität haben. Wie bei vielen anderen neurologischen und genetischen Entwicklungsstörungen (Lo-Castro et al. 2011) scheinen ADHS-Symptome eines der häufigsten Verhaltensmerkmale bei Kindern mit NS zu sein. Auch wenn nicht bekannt ist, wie häufig „klassische“ Lernschwierigkeiten bei NS auftreten (z. B. Legasthenie oder Dyslexie, nonverbale Lernschwäche), ist es offensichtlich, dass Lern- und Gedächtnisschwierigkeiten bei NS häufig auftreten können. Gedächtnisschwierigkeiten scheinen insbesondere beim Arbeitsgedächtnis sowie bei Gedächtnisaufgaben, die den freien Abruf gespeicherter Informationen erfordern, aufzutreten. Derzeit ist unklar, ob die Lernprobleme, die viele Kinder mit NS im Klassenzimmer haben, auf ein bestimmtes zugrunde liegendes Problem oder auf mehrere additiven Faktoren zurückzuführen sind.
- Obwohl es keine veröffentlichten Längsschnittstudien zu neuropsychologischen Funktionen bei NS gibt, scheinen die verfügbaren Daten darauf hinzudeuten, dass Erwachsene mit NS im Vergleich zu Kindern im Allgemeinen mildere kognitive Defizite aufweisen, insbesondere in Bereichen wie Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen und Gedächtnis. …. Dementsprechend gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die kognitiven Fähigkeiten bei NS im Laufe der Entwicklung stabil bleiben oder sich verbessern, während die betroffenen Kinder in Bezug auf ihre Anpassungsfähigkeit nicht immer mit Gleichaltrigen mithalten können.
- Die Genmutation kann niemals als eindeutiger prognostischer Indikator angesehen werden. Dennoch liegen die kognitiven Fähigkeiten bei den meisten Personen mit Mutationen in den Genen, die am häufigsten mit NS in Verbindung gebracht werden (z. B. PTPN11, SOS1, RAF1), insgesamt im normalen Bereich.
- Die Ergebnisse von Umfragen unter Erwachsenen mit NS zeigen, dass die meisten von ihnen in der Lage sind, die obligatorische Schulzeit abzuschliessen, und dass einige von ihnen auch das Gymnasium besuchen (Noonan 2005).